Stellungnahme: „207 Euro Verdienst im Monat bei 30 Wochenstunden“

von 6. September 2023Pressemeldung0 Kommentare

Am 30.08.2023 erschien in der Lokalpresse unseres Geltungsbereiches ein Beitrag, der sich mit der Einkommenssituation von Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen im Land Brandenburg befasst. Hier geht es zum Artikel.

Der Vorstand der LAG WfbM Brandenburg e.V. veröffentlicht dazu folgenden Standpunkt als Leserbrief an die zuständige Redakteurin:

Liebe Frau Rakitin,

im Oranienburger Generalanzeiger vom 30.08.2023 und auf MOZ.de berichten Sie über Ihre Beobachtungen, die Sie in Werkstätten für behinderte Menschen in unserer Region gemacht haben. Die Beobachtungen fassen Sie in der Überschrift „207 Euro Verdienst im Monat bei 30 Wochenstunden“ zusammen.

Im Bundesland Brandenburg leben aktuell 267.000 Menschen mit einer Schwerbehinderung. Etwa 10.000 von ihnen sind in Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt. Ein sehr geringer Teil also, der in besonders umfassender Weise auf Unterstützung im Alltag angewiesen ist.

Sie stellen die gewerbliche Wertschöpfung der Werkstattbeschäftigten in das Verhältnis zum gesetzlichen Mindestlohn, einem Instrument der Wettbewerbswirtschaft auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Wir möchten hier nicht näher auf die Bedingungen eingehen, unter denen Menschen in vielen Branchen diesen Mindestlohn erarbeiten, die uns im Zweifel jedenfalls nicht erstrebenswert erscheinen.

Werkstätten stehen außerhalb der Wettbewerbsbedingungen des Arbeitsmarktes. Genau das ist ihre Legitimation. Deshalb kann die Eigenlogik von Werkstätten keine rein betriebswirtschaftliche sein, die den Prinzipien von Effizienzsteigerung und Arbeitskraftverwertung verpflichtet wäre.

Wir sind überzeugt, dass Menschen auch mit einer Erwerbsminderung Anspruch auf berufliche Teilhabe haben, und zwar unabhängig vom materiellen Mehrwert ihrer Arbeitskraft – selbst wenn dieser nur bei 1,50 Euro pro Stunde liegt. Dies ist nicht zu kritisieren, es ist Aufgabe von Werkstätten für behinderte Menschen. Diese Teilhabeleistungen, die umfassende Assistenz, die individuelle Aufbereitung von Arbeitsschritten, die persönliche Wertschätzung und das wechselseitige Vertrauen machen den Alltag in einer Werkstatt aus und sind ein wichtiger Teil der Lebensqualität der hier beschäftigten Menschen.

Werkstätten reduzieren nicht ihre „Belegschaft“, weil es die Auftragslage nahelegt, wir trennen uns nicht von sinnvollen aber weniger ertragreichen Aufträgen – und auch nicht von Beschäftigten, die zum gewerblichen Gesamtergebnis vielleicht nur einen kleinen Beitrag leisten können. All das wäre mit Blick auf die gesellschaftliche Aufgabe von Werkstätten absurd – für eine wirtschaftliche Ertragssteigerung aber notwendig.

Deshalb wird eine Werkstattbeschäftigung nie unabhängig von weitergehenden Sozialleistungen zu sehen sein. Zählt man diese hinzu, sieht die Einkommenssituation von Werkstattbeschäftigten schon etwas anders aus. Man könnte immer noch sagen, dass dies zu wenig ist – so wie es für andere Bezieher von Sozialleistungen auch zu wenig ist. Werkstätten sind nur als Sozialleistung zu verstehen, als Ergänzung zum Arbeitsmarkt – nicht aber als Teil des Arbeitsmarktes mit Tarifparteien und Mindestlohn.

Im Übrigen sind wir sicher, dass den von Ihnen namentlich erwähnten und abgebildeten Werkstattbeschäftigten die persönliche Bedeutung der Werkstatt als ein zentraler Ort ihrer Lebenswelt sehr bewusst ist. Mit der Bild-Text-Gestaltung ihres Artikels machen Sie diese Beschäftigten zu Kronzeugen von Thesen, die sie gar nicht teilen.

Vorstand LAG WfbM Brandenburg e.V.

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